Tipps zur Rollengestaltung in Krisenzeiten

Normalerweise kann man sich auf neue Rollen vorbereiten und sie sind häufig freiwillig. Werdende Eltern haben dafür  neun Monate Zeit (und selbst das ist manchen zu wenig) und bei einem Jobwechsel gibt es einen Bewerbungsprozess, um zu schauen, ob Arbeitnehmer und –geber zusammenpassen. In Phasen einer Krise ist das anders, so stellt die aktuelle Situation spontane Herausforderungen und ruft nach kreativen Lösungen. Da werden Mütter zu Lehrerinnen, Väter zu den neuen Spielkameraden, ältere Geschwister zum Nachhilfeinstitut, Nachbarn zur Kitaeinrichtung oder Jugendliche zur Einkaufshilfe für ihre Großeltern. Ganz ohne Vorbereitungszeit und nicht immer freiwillig. Was macht die Krise mit Familien? Auf jeden Fall eins: Sie wirft Rollen und Routine plötzlich über den Haufen.
Hier finden Sie einige Tipps zum Umgang mit der Krise in der Krise.
Schaffen Sie in der Familie eine neue Tagesstruktur und damit auch wieder Routine: Legen Sie Zeiten fest, wann Sie in der einen Rolle (zum Beispiel arbeiten im Home Office) und wann Sie in der anderen Rolle (zum Beispiel Spielkamerad) sind, wann Schulzeit und wann Freizeit ist. Falls es hierfür neue oder andere Regeln braucht, legen Sie diese gemeinsam fest (zum Beispiel: wenn die Bürotür angelehnt ist, kann Mama im Home Office gestört werden, wenn die Tür zu ist, muss man kurz warten). Bleiben Sie auch weiterhin mit Menschen außerhalb der Familie in Kontakt, tauschen Sie sich mit Ihren Freund*innen via Telefon oder Videokonferenz aus, hier haben Sie die Möglichkeit, wieder in alte, vertraute Rollen zu schlüpfen, auch das kann entlasten. Zögern Sie nicht, bei Schwierigkeiten auch externe Hilfen (Beratungsstellen, Krisentelefone) in Anspruch zu nehmen, Sie befinden sich in einer Ausnahmesituation.
Natürlich wird es auch in dieser Zeit nicht konfliktlos zu Hause ablaufen. Bei so vielen Rollen wie Sie momentan gleichzeitig innehaben, sind Sie vermutlich auch selbst angespannter und permanent im inneren Konflikt: Das eine Kind hat eine Frage zu seinen Schularbeiten, während sich das andere schon wieder leise mit dem Handy ins Kinderzimmer verdrückt hat und gleichzeitig ruft auch noch der Chef an. Solche Situationen stressen jeden, der nicht Superman oder Lara Croft heißt, denn entgegen vieler Meinungen sind Menschen einfach nicht gemacht für Multitasking. Versuchen Sie, Aufgaben innerlich zu priorisieren und nacheinander abzuarbeiten, setzen Sie sich dabei selbst realistische Ziele und belohnen Sie sich auch bei deren Erreichung. Versuchen Sie öfter in sich hineinzuhorchen und wenn die Nerven gerade blank liegen, gönnen Sie sich eine Auszeit. Vielleicht können Sie ein Symbol oder ein Zeichen an Ihrer Schlafzimmertür vereinbaren, dass den Kindern zeigt: „Papa braucht mal fünf Minuten für sich“. Ebenso könnten die Kinder das für sich verwenden oder Sie gehen ein paar Minuten um den Häuserblock und atmen mal tief durch.
Am Wichtigsten ist jedoch: Seien Sie gnädig mit sich und den anderen, üben Sie sich in Gelassenheit und schätzen Sie sich gegenseitig für die erbrachte Leistung wert: Sie hatten keine Zeit, sich auf die neuen Rollen vorzubereiten und niemand hat Sie darin ausgebildet -  Perfektion ist sicherlich nicht gefragt.
Wir alle kennen Krisen, sie gehören zum Leben dazu. Sei es, dass man als Kind sein Lieblingskuscheltier nicht finden konnte, Streit mit einem guten Freund hat oder bei dem Arbeitsprojekt einfach nicht mehr weiterkommt. Manche sind kleiner und andere größer. Klar ist, dass die jetzige Krise von enormem Ausmaß ist für die Menschen weltweit.
Was jedoch alle Krisen gemeinsam haben, ist, dass sie vorübergehen und dass wir durch ihre Bewältigung Stärken entwickeln. Eine Krise unterbricht die Routine und kann auch ein Neuanfang sein: Vielleicht erkennt der Vater, wie gerne er Spielkamerad ist und will zukünftig mehr Zeit mit den Kindern verbringen oder es entsteht eine neue Freundschaft zu den Nachbarn, die angeboten hatten, die Kinder zu betreuen oder es bringt den Jugendlichen und die Großeltern durch die Einkaufshilfe wieder näher zusammen. Egal, wie die Zeit nach der Krise aussehen wird, es wird uns stärken, sie gemeinsam erfolgreich bewältigt zu haben. Und vielleicht werden später Ihre Kinder noch ihren Enkel erzählen von der Zeit „damals, als die Coronakrise unser Leben geprägt hat“.

Ludwigshafen, April 2020

Meike Fischer
Psychologin M.Sc.