Der verzauberte Fahrstuhl

Eine bekannte Melodie dudelte aus dem kleinen Lautsprecher neben der Tür und Tommy summte sie unbewusst mit. Er befand sich in einem ungewöhnlich großen Fahrstuhl und war sich selbst nicht sicher, warum er überhaupt hier war. Seine Mutter hatte an diesem Morgen das Haus schon sehr früh verlassen und ihm lediglich eine Nachricht auf dem Tisch hinterlassen, dass er gegen zehn Uhr in diesem Hotel zum 13. Stock fahren sollte. Da sie oft früher zu Arbeit losmusste, war so eine Nachricht eigentlich nichts Ungewöhnliches und so war Tommy selbstverständlich hierhergefahren.
Außer ihm befand sich noch ein Mädchen in seinem Alter mit braunem Haar, ein älterer Herr mit einem schiefen Hut und ein junger Mann mit einem Ziegenbart in dem Aufzug. Sie hatten gerade mal zwei Stockwerke passiert, als eine Frau dazu stieg, die in etwa so alt wie seine Mutter sein konnte. Sie hatte ein völlig verrücktes Kleid an, auf dem große Stofffetzen in Form von Schuppen hingen, die in allen Farben des Regenbogens schimmerten. Auf dem Kopf trug sie ihre Haare in wilden, blonden Locken zu einem Turm frisiert, dazu waren viele Blümchen hineingesteckt und eine quietschgrüne Brille saß auf ihrer Nase. Als sie einstieg, spürte Tommy ihren Blick auf sich brennen und er stellte sich schnell einen Schritt zur Seite. Der Fahrstuhl fuhr derweil weiter und im sechsten Stockwerk stieg der ältere Mann und im neunten Stockwerk schließlich der Kerl mit dem Ziegenbärtchen aus. Nun waren nur noch Tommy, das Mädchen und die verrückte Frau im Fahrstuhl.
Als sich die Tür schloss und die Fahrt weiter ging, begann die kunterbunte Frau zu sprechen: „Nun, da wir endlich alleine sind, möchte ich euch den Grund verraten, warum ihr hier seid.“ Verwirrt sah Tommy kurz zu ihr, um zu sehen, mit wem sie da sprach - er war schließlich wegen Mamas Brief hier - doch die Frau blickte ihn direkt an. Auch das Mädchen mit dem braunen Haar drehte sich neugierig um.
„Tommy, Maddie? Ich brauche eure Hilfe! In meinem Zuhause ist das totale Chaos ausgebrochen und allein ihr Kinder könnt das wieder in Ordnung bringen.“ Sie stemmte ihre Hände in die Hüfte und sah die beiden Kinder herausfordernd an. Das Mädchen – Maddie – blickte sie noch einmal kurz an und kichterte dann hinter vorgehaltener Hand. „Alles klar“, sagte Maddie belustigt und drehte sich dann kopfschüttelnd wieder um. Doch Tommy spürte, dass diese Frau ihre Worte ernst meinte. Er verstand zwar nicht, was genau sie von ihnen wollte, doch sie sah wirklich besorgt aus. Also ging er einen Schritt auf sie zu und sprach zu ihr: „Wie meinen Sie das?“
Doch bevor sie antworten konnte, machte es „Pling“ und die Fahrstuhltür ging auf. Maddie, die zur Tür geblickt hatte, atmete erschrocken auf. Die Frau nickte als Antwort auf Tommys Frage nur zu der Tür hinüber. Verwirrt drehte sich nun auch Tommy um und traute seinen Augen kaum. Hinter der Fahrstuhltür war kein normaler Hotelflur. Nein, da war eine riesige leuchtende grüne Wiese, deren Ende man nicht erahnen konnte. Blauer Himmel war zu sehen und die Sonne schien. Überall flogen Schmetterlinge und kleine Vögel herum und die farbenfrohesten Blumen wuchsen heran. „Was?...Wo…wo sind wir?“, stammelte Tommy und ging einen Schritt auf die Tür zu. Die verrückte Frau lief an ihm vorbei und ging hinaus, dann drehte sie sich zu den beiden Kinder und machte eine große Armbewegung, „Das, ihr Lieben, ist mein Zuhause.“


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Mein Ende der Geschichte lautet:

Tommy und Maddie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie liefen einen Schritt heraus und wirklich, da war der echte Himmel über ihnen, keine Zimmerdecke mehr! Der Wind wirbelte durch die Blumen und die Sonne schien ihnen warm ins Gesicht.
„Aber wie ist das möglich?“, fragte Maddie verwirrt. „Wir waren doch eben noch in einem Hotel?“ Die Frau lächelte ihnen zu und zuckte mit den Schultern, „Weißt du, manche Dinge lassen sich nicht erklären. Wir sind irgendwie noch im Hotel und irgendwie auch nicht mehr. Das Stockwerk, auf dem wir uns befinden, wurde vor langer Zeit mit einem Zauber belegt und seitdem gelangt man mit dem Fahrstuhl in meine Welt. Doch nur wer eine Einladung erhalten hat, kann diese Welt auch wirklich sehen.“ Tommy war ganz verwirrt, „Was für eine Einladung denn?“  
Die Frau lachte laut und zog dann aus einer Tasche ihres Kleides ein Stück Papier heraus. Tommy erkannte sofort den Brief seiner Mutter, der heute Morgen noch auf dem Küchentisch gelegen hatte. „Ich habe euch diese Nachrichten geschrieben, da ich wirklich dringend eure Hilfe brauche. Wie ich euch bereits sagte, liegt auf unserem Land ein Zauber, der es beschützt. Dieser Zauber kommt aus einem magischen Stein, der immer bei unserer alten Eiche, dem größten Baum unserer Welt, auf einem Felsen befestigt war.
Doch heute Nacht, haben ein paar bösen Gestalten versucht, den Stein und unsere Magie zu stehlen. Wir konnten sie in die Flucht schlagen, doch der Stein ist dabei zwischen die Wurzeln der Eiche gefallen. Und wir alle können nicht hinunterkrabbeln. Manche sind so groß wie ich, andere haben eher Tatzen als Hände und… Ach naja, jedenfalls kommen wir nicht an den Stein heran. Doch ein Kind, so groß wie ihr es seid, ein Kind könnte es schaffen. Und deshalb brauche ich eure Hilfe.“
Maddie lächelte sie zuversichtlich an und zeigte einen Daumen hoch. „Das sollte kein Problem sein, so einen Stein haben wir ganz schnell wieder geholt.“ Die verrückte Frau sah sehr dankbar aus und deutete nach vorne auf einen Weg. „Danke ihr Lieben. Wisst ihr, wenn der Stein nicht auf dem Felsen befestigt ist, verliert die Magie langsam ihre Wirkung und meine Welt wird vergehen. Wir müssen ihn also unbedingt zurückholen.“
Und so machten sich Tommy, Maddie und die verrückte Frau, deren Name sie immer noch nicht wussten, auf den Weg. Sie folgten einem kleinen Trampelpfad, der über die Wiese ging. Hin und wieder raschelte es auf der Wiese und Tommy hatte das Gefühl, als würden sie beobachtet werden. Doch immer, wenn er in die Richtung der Geräusche schaute, sah er nur Hasen oder Vögel herumsitzen. Und diese konnten ihn ja wohl kaum beobachten…
Schon bald sahen sie einen wirklich großen Baum. „Das muss die Eiche sein.“, rief Tommy und ging sogleich ein bisschen schneller darauf zu. Je näher sie dem Baum kamen, desto größer sah er aus und als sie endlich davor standen, waren die Wurzeln fast so groß wie die Kinder selbst. Um den Baum herum sah es richtig verwüstet aus. Vermutlich hatte hier heute Nacht ein Kampf stattgefunden, als die Diebe versucht hatten, den magischen Stein zu stehlen.
„Also Kinder, sehr ihr dort das rote Leuchten unter den Wurzeln? Das ist der Stein, den wir suchen. Ihr könnt einfach hinab klettern, doch ich muss euch auch warnen. Die Eiche ist das Zentrum unserer Welt, wenn sie verletzt wird, wird sie sich verteidigen. Doch solange ihr den Wurzeln nicht schadet, wird sie euch auch nicht schaden. Habt ihr das verstanden?“
Tommy war ganz mulmig im Bauch, er wollte wirklich nicht mit einer so riesigen Eiche kämpfen müssen. Aber er wollte sich seine Angst nicht anmerken lassen und daher grinste er extra breit. „Klar, gar kein Problem!“ Dann ging er auf die Wurzeln zu und quetschte sich zwischen zwei Teilen hindurch. Maddie folgt ihm auf dem gleichen Weg.
In dem Geflecht aus Wurzeln war es sehr eng und dunkel und sie kamen nur sehr langsam voran. Immer wieder mussten sie umdrehen und eine andere Richtung einschlagen. Der Schweiß stand ihnen auf der Stirn, denn der Abstieg war furchtbar anstrengend. Als sie schließlich ganz knapp vor dem Zauberstein waren, so knapp, dass er sie mit seinem Leuchten fast blendete, stellten sie frustriert fest, dass der ganze Stein von Wurzeln umgeben war.
„Nein!“, rief Maddie wütend. „Das gibt es doch nicht. Ich habe keine Lust mehr! Dieser Baum will uns doch veräppeln und diese verrückte Frau sowieso!“ Tommy erschrak und blickte besorgt zu Maddie, „Psst, schrei doch nicht so herum, wir haben es doch fast geschafft!“, sagte er leise. Er hatte Angst, dass der Baum sie vielleicht hören konnte. Oder sogar diese Frau. Doch Maddie war das völlig egal, sie griff nach den Wurzelsträngen, die um den Stein gewickelt waren und riss daran. „Halt!“, rief Tommy, doch Maddie hörte nicht damit auf, Stück für Stück die Wurzeln abzureißen, bis sie schließlich den Stein in der Hand hielt. Zufrieden streckte sie Tommy die Zunge raus und drehte sich um, um wieder aus dem Wurzelwerk heraus zu klettern.
Doch plötzlich hörten sie ein kriechendes Geräusch und im nächsten Moment schrie Maddie laut auf. Sie ließ den Stein fallen und griff nach ihren Füßen. Die Wurzeln hatten begonnen, sich um ihre Fußknöchel zu wickeln und zogen an ihr. „Hilfe! Hilf mir Tommy!“, schrie Maddie und versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Sie riss an den Wurzeln, versuchte danach zu treten und biss sogar hinein. Doch nichts half und die Wurzeln wickelten sich Stück für Stück um ihre Beine.
„Hör auf dich zu wehren!“, sagte Tommy, denn die verrückte Frau hatte ihnen schließlich eingebläut, die Eiche nicht zu verärgern. Doch offenbar war es dafür zu spät, Maddie hatte den Baum wirklich wütend gemacht. Tommy wusste nicht, wie er ihr helfen sollte.
Er schnappte sich den roten Zauberstein, damit dieser nicht wieder von den Wurzeln umwickelt werden konnte und versuchte mit seiner anderen Hand, Maddie zu sich zu ziehen. Doch die Wurzeln waren einfach zu stark, sie hatten sich bereits bis zu Maddies Bauch geschlungen. „Tommy! Hilfe!“, schrie Maddie wieder.
Tommy blickte zu den Wurzeln über sich und sprach nun laut zum Baum: „Bitte, bitte, lass sie gehen. Sie hat einen Fehler gemacht, doch sie wollte eigentlich nur dich und diese Welt hier retten. Also bitte, lass sie gehen!“ Für einen kurzen Moment geschah nichts – die Wurzeln zerrten weiterhin an Maddie herum und versuchten sie zu umwickeln – doch dann leuchtete plötzlich der Zauberstein auf. Er wurde ganz warm in seiner Hand und leuchtete so sehr, dass unter den Wurzeln alles in ein helles, rotes Licht getaucht wurde. Dann hörten sie ein Geräusch, als würde der Baum seufzen und auf einmal lockerten sich die Wurzeln. Eine nach der anderen ließen sie Maddie los und zogen sich schließlich zurück. Und nicht nur das, vor den Kindern tat sich plötzlich ein Weg auf, der sie bis nach draußen brachte. Maddie lief voran und Tommy folgte ihr, den leuchtenden Stein fest umklammert.
Draußen stand die verrückte Frau und sah die beiden Kinder erschrocken an, „Was ist passiert? Wieso leuchtet der Stein?“ Sie lief zu Tommy und nahm ihm den Zauberstein aus der Hand. Er sah kurz zu Maddie, die sich beschämt auf die Lippe biss und zu Boden sah. „Wir hatten da unten ein kleines Problem, doch der Stein hat uns hinaus geführt.“
Die verrückte Frau runzelte die Stirn, scheinbar glaubte sie ihm nicht so ganz, doch sie war offenbar so erleichtert darüber, dass sie den Stein zurückhatte, dass sie nicht weiter nachfragte. Sie drehte sich auf der Stelle herum, lief die wenigen Schritte bis zum großen Felsen und befestigte den Stein in einer Vorrichtung darauf.
„Nun liebe Kinder, ich danke euch, dass ihr den Stein für uns geholt und somit unsere Welt gerettet habt. Ich bringe euch nun zurück in eure Welt.“ Sie nahm die beiden Kinder freundlich in den Arm und ging dann mit ihnen zu dem Trampelpfad zurück, von dem sie gekommen waren. Als sie am Tor ankamen, hinter dem sich der Fahrstuhl befand, drehte sich Tommy noch einmal um.
„Sagen sie, wie heißen Sie eigentlich?“ Fast hatte er vergessen zu fragen, doch die verrückte Frau lächelte nur und schob die beiden Kinder in den Fahrtstuhl. Dann drückte sie den Knopf, der sie zum Erdgeschoss bringen würde und trat wieder in ihre Welt hinaus. Sie winkte den Kindern zu und als sich die Türen des Fahrstuhls schlossen, flüsterte sie mit einem Zwinkern: „Manche Menschen nennen mich Mutter Natur“.

Ende