Im Jahre 1986 erschien in der "Neuen LU" ein Artikel zum 60jährigen Jubiläum der Stadtranderholung, geschrieben vom damaligen Sozialdezernenten der Stadt Ludwigshafen, Günther Janson, welchen wir nachfolgend originalgetreu wiedergeben wollen:

Vor 60 Jahren, im Sommer des Jahres 1926, fand die erste Stadtranderholung für Kinder in Ludwigshafen statt, und zwar im damals neuen Ebertpark; der war ein Jahr zuvor auf dem Gebiet der "Friesenheimer Erdlöcher", einem ehemaligen Altrheinarm geschaf­fen worden aus Anlass der Süddeut­schen Gartenbau-Ausstellung, die vom 28. Mai bis zum 12. Oktober 1925 stattfand.

Der damalige Wohlfahrtsdezernent Paul Kleefoot (SPD), von 1920 bis 1933 zweiter hauptamtlicher Bür­germeister der Stadt, hatte die Idee, weil gerade die Kinder aus den ärmsten Familien nicht an auswär­tigen Erholungsmaßnahmen teil­nehmen konnten. Die Erholungsstätte, die er im Ebertpark einrichten ließ, bestand aus einem über 5 000 Quadratmeter großen Grasplatz, der mit Bäumen bepflanzt und mit Sträuchern um­zäunt war. Eine 40 Meter lange Halle mit fester Rückwand zum Schutz bei Regenwetter wurde ge­baut, die Schränke, eine Küche mit elektrischem Herd, Waschräume und Toiletten enthielt. Auf ärztlichen Vorschlag nahmen 100 Kinder, die besonders erho­lungsbedürftig waren, an dieser er­sten Stadtranderholungsmaß­nahme teil. Mit einem Sonderwa­gen der Straßenbahn wurden die "Kleefoot-Kinner", wie sie der Volksmund bald nannte, morgens in der Stadt gesammelt und abends wieder nach Hause gebracht.

Eine Schwester, eine Kindergärtnerin, vier Kinderpflegerinnen versorgten und betreuten die Kleinen, die auch ständig ärztlich überwacht wurden. Die Städtische Volksküche lieferte eine gute Verpflegung. Täglich gab es auch Lebertran. Mit der Durchführung dieser neuen Maßnahme wurde die Städtische Säuglings- und Kleinkinderfür­sorge betraut, deren Leiterin, die bekannte Dr. Elisabeth Jacki im "Buch der Stadt Ludwigshafen am Rhein" 1927 schrieb: "Aus der Enge ihres Wohnungselends herausge­holt, genießen die Kinder den idyllischen Aufenthalt in Luft und Freiheit in vollen Zügen. Sie blüh­ten auf, wurden frisch und fröhlich und die durchschnittliche Ge­wichtszunahme betrug 1 250 Gramm".

Die "Kleefoot-Idee" hatte Bestand und wirkt bis heute fort.

Beginn der Stadtranderholung im Sommer 1926 im Ebertpark. Bald wurde eine 40 Meter lange Halle zum Schutz bei Regenwetter gebaut.

Die Städtische Volksküche lieferte die Verpflegung für die Kinder. Täglich gab es Lebertran!

Historische Stadtranderholung 1927. Die Zahnpflege gehörte damals schon zum pädagogischen Programm der Kinderbetreuerinnen

"Müde bin ich, geh' zur Ruh..." Szene aus der Städtischen Stadtranderholung im Ebertpark 1927.


Fortsetzung nach dem 2. Weltkrieg

In den schlimmen Not- und Hun¬gerjahren nach dem Zweiten Welt¬krieg organisierte Bürgermeister Max Frenzel, der damalige Sozial¬dezernent, 1946 bis 1948 in der Villa Baumann in Altrip eine Kinderer¬holungsmaßnahme, nicht nur in den Ferien, sondern das ganze Jahr über, Im Rhythmus von 14 Tagen konnten sich 40 bis 50 Kinder, so¬gar vom Schulbesuch befreit, dort erholen, Das Allerwichtigste da¬mals war, den Hunger der unterernährten Kinder zu stillen!
So schwer es auch war, es gelang dem Bürgermeister mit viel Einsatz, manchmal auf abenteuerlichen We¬gen, die Lebensmittel für die Kin¬der herbeizuschaffen. Nach der Währungsreform, als sich die Versorgung mit Nahrungsmit¬teln verbesserte, arrangierte im Jahr 1949 der Stadtjugendring eine Erholung für 50 Kinder in der Waldmühle bei Neuhofen, die auch im nächsten Jahr dort durchge¬führt wurde. Inzwischen, also ab 1950, hatte das Stadtjugendamt die Organisation der Kindererholungs¬maßnahme übernommen, aber in enger Zusammenarbeit mit den freien Wohlfahrtsverbänden Arbei¬terwohlfahrt, Caritaswerk, Evange¬lischer Gemeindedienst und unter Mitwirkung ihrer ehrenamtlicher Helfer. Dieses gemeinsame Han¬deln für die Kinder der Stadt über sehr viele Jahre hinweg hatte
Modell Charakter, war beispielgebend. Ludwigshafen war die erste Kom¬mune im Lande Rheinland-Pfalz, die eine Erholung für Kinder auf diese Weise durchführte.

"Kinderferien ohne Kofferpacken" in Oggersheim

Nächste Station der "Kinderferien ohne Kofferpacken" war 1951 und 1952 die Festhalle Oggersheim, und der in der Nähe befindliche Stadt¬park. Mehr als 1000 Kinder nah¬men, wie heute in drei Abschnitten zu je 14 Tagen, das Angebot dank¬bar an.
Seit 1953 ist die Große Blies der endgültige Ort der Stadtranderho¬lung. Dort auf einem Gelände, das ganz besonders geeignet ist, eine Kindererholungsstätte - ein Fe-rienzentrum überhaupt - zu schaf¬fen, geht auf die Initiativen von Oberbürgermeister Valentin Bauer, Sozialbürgermeister Peter Trupp und der Stadträtin Änne Rumetsch zurück. Im Jahr zuvor, 1952, waren eine Halle, eine Küche, eine Toilet¬te, 1954 zwei weitere Hallen gebaut worden. Im ersten Jahr 1953 nah¬men 750, 1954 schon 2 100 Kinder an der Blieserholung teil.

Vielseitige Spielmöglichkeiten an der Großen Blies

Um den Kindern vielseitige Spiel- und Betätigungsmöglichkeiten zu bieten, kamen in den nächsten Jah¬ren in einem weiteren Ausbau ein Planschbecken, ein Schwimmbad, eine Kinderverkehrsschule (von der Ludwigshafener Verkehrspoli¬zei betreut), eine Werkhalle, Bolz¬plätze und immer wieder verbes¬serte Spielgeräte hinzu, schließlich auch das Jugendgästehaus. Die Große Blies, scherzhaft auch "Lido Blieso" genannt, wurde so nach und nach zu einer idealen Na¬herholungs- und Begegnungsstätte
für Kinder, aber auch für äl¬tere Bürger, für die Interessenge¬meinschaft Behinderter und ihrer Freunde, die dort ein eigenes Ge¬bäude haben, für Jugendverbände, für Vereine und Partnerschaftstref¬fen.
Von 1950 bis zu seiner Pensionie¬rung im Jahr 1973, also 23 Jahre lang, war Fritz Kern, zuerst hauptamtlicher Stadtjugend¬pfleger, verantwortlicher Leiter der Stadtranderholung für Kinder. Für ihn gab es 23 Jahre keinen Som¬merurlaub, keinen Achtstundentag, er lebte für "seine Kinder", die ihn schätzten, ihm vertrauten, ihn ein¬fach gern hatten. Sie nannten ihn "Onkel Fritz". Viele, wahrschein¬lich sehr viele der inzwischen groß gewordenen "Kinder" werden sich beim Lesen dieses Artikels seiner erinnern. Den ehrenvollen Beina¬men, den sich Fritz Kern erwarb: "Vater der Stadtranderholung". In den Gründungs- und Nach¬kriegsjahren ging es neben Spiel in Luft und Sonne bei dieser Kinder¬erholung vornehmlich um eine gute Verpflegung für die Kleinen, die selbstverständlich auch heute noch notwendig ist, dafür sorgte Blies¬Küchenchef Willi Thudium seit vie¬len Jahren. Inzwischen hat sich die Stadtranderholung zu einer päd-agogisch gestalteten Maßnahme entwickelt, zu einer neigungsorien¬tierten Kinderarbeit wo soziales Verhalten und solidarisches Han¬deln gelehrt wird. Diese Konzep¬tion hat sich bewährt; sie fand die Zustimmung der Kinder und der Eltern und ist ein Beitrag auf dem Wege zu einer kinderfreundlichen Stadt, die es heute wie ehedem vor 60 Jahren zu schaffen gilt.

Stadtranderholung am „Lido Blieso". Bürgermeister Janson bei seinen Kleinen

Ob's schmeckt?! Blies-Küchenchef Willi Thudium sorgt seit 1964 für schmackhaftes Essen.